Hessens Innenminister Peter Beuth, Sprecher der unionsgeführten Innenministerien in Deutschland, hat an einer Abendveranstaltung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Brüssel unter dem Titel „Politik trifft Polizeipraxis: Wie stärken wir die EU und ihre Mitgliedsstaaten im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch?“ teilgenommen. In seinem Grußwort sprach er sich erneut für eine rasche Änderung rechtlicher Voraussetzungen zur Speicherung relevanter Verbindungsdaten aus, die zur effektiven Strafverfolgung dieser schweren Straftaten notwendig sind.
„Die deutschen Polizeibehörden unternehmen alles in ihrer Kraft stehende, um sexualisierte Gewalt gegen Kinder effektiv zu bekämpfen und der Täterinnen und Täter konsequent habhaft zu werden. Wer sich an den Schwächsten in unserer Gesellschaft auf diese abscheuliche Art vergeht, muss die volle Härte des Gesetzes erfahren. Hierfür müssen unsere Strafverfolgungsbehörden handlungsfähig sein. Die konsequente Ahndung von schweren Straftaten wie sexuellem Kindesmissbrauch darf nicht daran scheitern, dass Ermittlern wichtige Daten vorenthalten bleiben. Stattdessen braucht es nun schnellstmöglich eine praktikable Lösung, welche die bestehenden Spielräume effektiv nutzt, damit schwere Kriminalität wie Kindesmissbrauch durch die Erhebung von IP-Adressen konsequent bekämpft und weitere Taten schnellstmöglich verhindert werden können. In einem Rechtsstaat sollten unsere Sicherheitsbehörden auf richterliche Anordnung auf alle relevanten Spuren im Netz zugreifen können, um nicht an falsch verstandenem Datenschutz in einer Sackgasse zu landen. Die Bundesregierung muss hier schneller vorankommen, damit endlich die Befugnisse für die Sicherheitsbehörden eingeräumt werden“, so Innenminister Peter Beuth anlässlich der Diskussionsveranstaltung in der Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union in Brüssel.
Rechtliche Spielräume
Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 20. September 2022 wurde mehr Rechtsklarheit bei der Speicherung von Telekommunikationsdaten geschaffen. Im Hinblick auf die Speicherung von Verkehrsdaten hat der Gerichtshof datenschutzrechtliche Grenzen gesetzt, aber auch Handlungsspielräume für die Ermittlungsbehörden benannt, insbesondere zur Speicherung von IP-Adressen bei schweren Verbrechen und Bedrohungen für die nationale Sicherheit. In vielen Fällen erhalten die hessischen Ermittlungsbehörden Hinweise von Internetdienstleistern oder der US-amerikanischen Organisation „National Center for Missing and Exploited Children“ (NCMEC), die von Internetprovidern über Missbräuche im Zusammenhang mit Kinderpornografie informiert wird.
Dynamisch wachsendes Kriminalitätsfeld
In den letzten Jahren sind weltweit und auch in Deutschland schockierende Verbrechen im Bereich Kinderpornografie und dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aufgedeckt worden. Laut Bundeskriminalamt wurde im vergangenen Jahr in 42.075 Fällen von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Inhalte (§ 184b StGB) Anzeige erstattet. Im Vorjahr waren es 39.171 registrierte Straftaten. Die Zahl der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch (§ 176-176e StGB) lag 2022 bundesweit bei 15.520 registrierten Straftaten (2021: 15.507).
In Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs (§ 176-176e StGB) sind in Hessen im Jahr 2022 insgesamt 1.039 Fälle polizeilich erfasst worden (2021: 931). Die Fallzahlen in den Deliktsbereichen Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Inhalte (§ 184b StGB) sind in Hessen deutlich gestiegen. 2022 wurden 3.374 Fälle festgestellt, dies entspricht einem Anstieg von rund 24 Prozent (643 Fälle). Die Fallzahlensteigerung liegt im Wesentlichen in gesetzlichen Meldeverpflichtungen US-amerikanischer Internet-Provider begründet, die strafbares Nutzerverhalten innerhalb ihrer angebotenen Dienste über die NCMEC unmittelbar und automatisiert an die zuständigen nationalen Behörden zur Einleitung von Strafverfahren übermitteln.
Mehr als 300 Ermittler in der BAO FOKUS
Zugleich hat Hessen den Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie in den vergangenen Jahren intensiviert und konzentriert. Mittlerweile umfasst die im Oktober 2020 eigens eingerichtete Besondere Aufbauorganisation (BAO) FOKUS mehr als 300 Ermittlerinnen und Ermittler. Sie arbeiten gemeinsam mit den Staatsanwälten der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) an der effektiven und konsequenten Verfolgung von Kindesmissbrauch und unterstützen zudem die weltweiten Fahndungen gegen Kinderpornografie.
Seit Bestehen der BAO FOKUS wurden bis Mitte April 2023 hessenweit mehr als 4.200 Durchsuchungen durchgeführt, 59 Haftbefehle vollstreckt und über 63.000 Datenträger (PCs und Notebooks, externe Speichergeräte, Spielekonsolen, CDs/DVDs und mobile Endgeräte) sichergestellt. Zudem lagen in mehr als 25 Prozent der Fälle die Voraussetzungen für erkennungsdienstliche Maßnahmen vor.
Weitere Maßnahmen
Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen plant die Hessische Landesregierung in diesem Bereich Rekordmittel in Höhe von 18,8 Millionen Euro ein. Zudem wird die BAO FOKUS mit weiteren 50 neue Stellen gestärkt. Das Hessische Landeskriminalamt und der INNOVATION HUB 110 des Hessischen Präsidiums für Technik entwickeln zurzeit gemeinsam eine Forensikplattform, um die Bekämpfung von Kinderpornographie weiter zu verbessern. Daten können so deutlich schneller und zielgerichteter ausgewertet werden – dies ermöglicht Täternetzwerke zu enttarnen und Täter schneller festzunehmen, um Missbrauch von Kindern wirkungsvoll zu verhindern.
Eine hessenweite Beratungs- und Hilfehotline zur Prävention und Aufklärung über die Verbreitung von Kinder- und Jugendpornographie wurde Anfang 2022 neu eingerichtet. Unter der Rufnummer 0800 – 55 222 00 können sich hilfesuchende Eltern, Lehrkräfte sowie junge Menschen vertrauensvoll an die Präventionsexperten der hessischen Polizei. Hintergrund ist vor allem, dass immer häufiger – meist unbedarft – einschlägige Bilder und Videos von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden über soziale Netzwerke sowie Messenger-Dienste verbreitet werden.